Institutsübergreifende Forschungsinitiative des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und des Kunsthistorischen Instituts in Florenz (Max-Planck-Institut) | September 2005 – Januar 2011 | Gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung und der Max-Planck-Gesellschaft
Der Schreib- und Zeichenstift gehört zu den einfachsten und ältesten Instrumenten der wissenschaftlichen Praxis. Als vermeintlich schlichtes, aber eben auch ubiquitäres Mittel der Darstellung hat er wesentlichen Anteil an der Entstehung von Wissen: Er hält nicht einfach fest, was sich vorher ›in Gedanken‹ ergeben hat, sondern zeitigt eigene, an einen verfahrensmäßigen Gebrauch geknüpfte Effekte; er vermittelt zwischen Wahrnehmung und Reflexion, zwischen Faktensicherung und Thesenbildung. Selbst unter den hochtechnischen Bedingungen, unter denen heute naturwissenschaftliche Forschung zumeist abläuft, ist das Zusammenspiel von Hand, Stift und Papier in seinen verschiedenen Ausprägungen nicht verdrängt worden. Im Gegenteil steht es für den höchst kritischen Bereich vorläufigen, probierenden Handelns ein, in dem aus noch nicht völlig geklärten Daten gefestigte Tatsachen hervorgehen.
Seit die Reflexion wissenschaftlichen Wissens verstärkt die Forschungspraxis in den Blick nimmt, hat sich um die Methoden der Darstellung, die im Beobachten, Experimentieren und Analysieren zur Anwendung kommen, ein eigenes, komparatistisches Feld von Untersuchungen herausgebildet. Gemeinsam ist diesen Studien, gleich ob sie von der Formelsprache der Chemie oder von den bildgebenden Techniken der Neurowissenschaften handeln, daß zwischen dem Vorgang der Darstellung und dem je zur Darstellung zu bringenden Forschungsgegenstand ein nicht-trivialer Zusammenhang vorausgesetzt wird. Darstellung, so die Prämisse, soll als Verfahren in den Vorgang der Forschung eigene Bedingungen einbringen, die teils limitieren, was zur Erfahrung werden kann, teils dem Erfahrbaren Informationen hinzufügen, teils neue Erfahrungen ermöglichen.
In der institutsübergreifenden Forschungsinitiative »Wissen im Entwurf« soll dieser Trias von Begrenzung, Organisation und Entfaltung von Forschungsgegenständen im Vorgang ihrer Repräsentation an den Leistungen von Zeichnung und Schrift nachgegangen werden. Daß wir Zeichnen und Schreiben gemeinsam in ihren epistemischen Funktionen untersuchen wollen, begründet sich sowohl aus dem Material, das herangezogen werden soll, wie aus der übergreifenden Erkenntnisabsicht des Forschungsprojekts. Ein Blick in die papierenen Hinterlassenschaften von Forschungsunternehmen zeigt sofort, daß schriftliche und zeichnerische Darstellungen hier nicht nur nebeneinander agieren, sondern sich häufig auch verschränken (von diagrammatischen Darstellungen bis hin zur rebusartigen Verknüpfung von Skizzen und Satzfetzen). Darüber hinaus soll die gemeinsame Untersuchung von Schreiben und Zeichnen als Verfahren der Forschung einen Punkt schärfen, der uns für jedes Studium von Repräsentationsvorgängen in der Entstehung von Wissen elementar erscheint. Mit dem Begriff des Verfahrens wird der Akzent auf den Darstellungsvorgang als Ablauf gelegt und dieser Ablauf wiederum als einer charakterisiert, in dem sich regelmäßige Vorgehensweisen realisieren, der aber in seinen einzelnen Schritten nicht determiniert ist. Ein solcher Zugriff verspricht nicht zuletzt auch einen Gewinn für ein Verständnis der Leistungen von Zeichnung und Schrift außerhalb genuin wissenschaftlicher Verwendungszusammenhänge.
Die epistemologische Fragestellung ermöglicht eine vergleichende Perspektive auf die Geistes- und Naturwissenschaften, der die Forschungsinitiative – verstärkt durch ein Netzwerk internationaler Zeichnungs- und Schreibforscher – im Bereich der Geschichte der Kulturwissenschaften, der Philologie oder Philosophie exemplarisch nachgehen wird. Gerade der Blick auf das einfachste Instrument wissenschaftlicher Darstellung könnte ans Licht bringen, welch beachtliche Übereinstimmungen zwischen den »techniques of creativity« in beiden Kulturen bestehen. Über die unmittelbaren Ergebnisse in einem bislang wenig untersuchten Forschungsfeld will die Forschungsinitiative so einen Beitrag zur Ausbildung und Reflexion schrift- und bildwissenschaftlicher Fragestellungen außerhalb der etablierten Gegenstandsbereiche von Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte leisten – Fragestellungen, die abseits der gegenwärtig zu beobachtenden Konkurrenz der verschiedenen Disziplinen um ›Bildkompetenz‹ vom Problembewußtsein und Instrumentarium von Kunst-, Literatur- und Wissenschaftsgeschichte profitieren können.